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Ein Gedicht und ein Märchen unterhalten sich…

Plaudern von Seite zu Seite

„Weißt du“, sagte die Geschichte. „Ich bin nur eine einfache Geschichte. Man kann mich lesen oder erzählen, auch zwei oder drei Mal, aber dann vergisst man mich wieder und ich staube in irgendeinem Bücherregal vor mich hin.“
Das Gedicht, das einen Platz in dem gleichen Buch bekommen hatte, bedauerte die Geschichte auf der anderen Seite. Gerade lag das Buch aufgeschlagen auf dem Wohnzimmertisch und sie konnten ein wenig miteinander plaudern.
„Nun, bei mir ist es ähnlich. Allerdings bin ich recht beliebt und man lernt mich sogar auswendig, wie mir zugetragen wurde. Ich bin aber auch wirklich ein sehr schönes Gedicht!“, sagte es stolz.
„Das heißt ja nichts!“, sagte die Geschichte verstimmt. „Ich bin auch eine spannende Geschichte und trotzdem komme ich so gut wie nie an die Luft. Das deprimiert mich doch sehr.“
„Mmh, das verstehe ich!“ Das Gedicht hatte Mitleid und wollte die Geschichte gern ein wenig aufheitern. „Soll ich mich mal aufsagen?“, fragte es.
„Worum geht es denn bei dir?“, wollte die Geschichte wissen. Eigentlich hatte sie keine Lust auf ein Gedicht. Sie fand Gedichte langweilig.
„Ich bin ein Spaßgedicht, über mich lacht man und wird fröhlich!“, erklärte das Gedicht.
„Okay, dann leg los!“, forderte die Geschichte das Gedicht nun auf, es konnte ja nicht schaden, ein wenig zu lachen und gute Laune zu haben.
„Also gut, pass auf!“ Das Gedicht räusperte sich kurz und sprach dann:

„Hoch oben in der großen Tanne
wohnt Herr Star mit seiner Frau.
Die sprach vergnügt zu ihrem Manne:
Mein Schatz, ich weiß es ganz genau.
Du hast etwas für mich versteckt,
sag mir, mein Lieber, ist’s Konfekt?“

„Halt, halt!“, rief die Geschichte. „Was ist denn Konfekt? Das Wort habe ich noch nie gehört!“
Das Gedicht kicherte. „Konfekt, das sind kleine Naschhäppchen aus Schokolade, mit Nougat, oder Marzipan. Manches Konfekt ist auch mit Pfefferminzcreme oder Erdbeerfüllung!“
„Okay, gut, ich habe es verstanden. Aber sag: warum lernt man denn so einen Text auswendig? Das verstehe ich nicht!“ Die Geschichte war ratlos.
„Na, zum Beispiel zum Valentinstag. Da schenken sich Verliebte Gedichte … und Konfekt!“, antwortete das Gedicht. „Manche malen auch bunte Herzen, oder stricken Socken mit Herzmuster und …“ Das Gedicht kam nun so richtig in Fahrt.
„Ist das nicht alles ein bisschen übertrieben?“, wollte die Geschichte wissen.
Das Gedicht schwieg, es wusste keine Antwort auf diese Frage. Es war ein Liebesgedicht und in Liebesgedichten war nichts übertrieben, ja im Gegenteil, man konnte gar nicht genug übertreiben mit Liebesbekundungen.
„Finde ich nicht!“, sagte das Gedicht deshalb. „Ich bin auch noch gar nicht fertig, aber ich mag nun nicht mehr weitererzählen.“
Eine Weile schwiegen die beiden, dann nahm das Gedicht die Unterhaltung wieder auf. Schließlich konnte man nicht wissen, wann sich einmal wieder eine Gelegenheit zum Plaudern finden würde. Es könnte sein, dass es wieder Jahre dauern würde.
„Worum geht es denn bei dir? Bist du auch eine Liebesgeschichte?“
„Nein, in meiner Geschichte geht es um eine Sensation. Ich fasse mal kurz zusammen: Kind geht allein durch den Wald, pflückt Blumen für Oma, trifft Wolf, der geht vor zur Oma, nachdem er das Kind ausgefragt hat. Er frisst die Oma, als das Kind kommt, frisst er das auch und als der Jäger kommt und den Bauch aufschneidet, kommen Oma und Kind unversehrt raus, eine Sensation, oder?“, erzählt die Geschichte.
„Kenne ich!“, sagt das Gedicht. „Das ist das Märchen vom Rotkäppchen!“
„Stimmt, woher weißt du das?“
„Das weiß jeder, du bist viel berühmter als ich, ja, das bist du!“, versicherte das Gedicht und das tat unserer Geschichte sehr gut.
„Wenn ich könnte, dann würde ich dir jetzt Konfekt schenken, oder rote gestrickte Herzen!“, sagte es zu dem Gedicht.
„Warum?“, fragte dieses.
„Weil ich dich sehr gern habe, und das ist nicht übertrieben!“

Wüsstet ihr nun auch gern, wie das Gedicht weitergeht? Ich weiß es leider nicht, aber das Märchen vom Rotkäppchen, das könnte ich euch locker erzählen. Kennt ihr? Wusste ich’s doch!

© Regina Meier zu Verl

 

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